„Wohnen für Alle“ – eine ziemlich große Aufgabe, die Sie bereits über den Titel formulieren. Chance oder Herausforderung?
Im Grunde beides: Der Titel stammt aus 2015 und hängt mit der damaligen Situation der Flüchtlingskrise zusammen. Damals war an uns herangetragen worden, ganz einfachen, günstigen Wohnraum für Geflüchtete zu schaffen. Ohne Aufzug, ohne Balkon – es sollte nur schnell gebaut werden und günstig sein. Da ich diesen Ansatz für nicht nachhaltig hielt, bot ich an, eine Alternative zu entwickeln, die ebenso kurzfristig und wirtschaftlich zu realisieren ist, dabei aber eine nachhaltige Bewirtschaftung ermöglicht: Wohnungen, die für alle passen, also auch für Flüchtlinge. So ist das Projekt „Wohnen für alle“ geboren worden.
Was genau verbirgt sich hinter dem Projekt?
Die Aufgabenstellung lautete, möglichst schnell, günstig und modular auf verschiedenen Grundstücken bauen zu können. Unser Ziel war, ein Gebäude zu konzipieren, das so kompakt und von der Haustechnik her so einfach wie möglich ist – nämlich mit nur einem Schacht pro Wohnung. Das war eine echte Herausforderung. Eine weitere Anforderung war die Anpassbarkeit. Denn die grüne Wiese, auf der ich ein entwickeltes Haus praktisch beliebig vervielfältigen kann, ist Wunschdenken. In der Regel ist es so, dass Anpassungen im städtebaulichen Kontext zwingend erforderlich sind.
Die NEULAND war für die Planung verantwortlich, umgesetzt wurde sie gemeinsam mit der B&O Gebäudetechnik Nord. Welche Vorteile ergeben sich aus dieser Zusammenarbeit?
Wie schon bei anderen Projekten sind wir eine Partnerschaft eingegangen. Als Bauteam-Partner war die B&O Gebäudetechnik Nord vom ersten Strich an, den wir gezogen haben, mit am Tisch und gab uns Feedback. B&O brachte auch die für ihre Baulogistik besten Konstruktionen mit ein. Angefangen beim Kalksandstein-Mauerwerk mit Großformaten, die schnell herzustellen sind – zwar anders als eine komplette Modulwand, aber dafür flexibel. So lässt sich das Gebäude relativ leicht anpassen. Von B&O kam auch der Vorschlag, auf den Kalksandstein eine Spannbetondecke zu setzen, die ebenfalls schnell realisierbar ist. Eine solche Konstruktion mag oder kann aber nicht jeder Bauunternehmer, daher ist es so wertvoll, wenn der Bauteam-Partner schon während der Planungsphase mit im Boot ist.
Welche Eigenschaften machen die Gebäude, die im Rahmen des Projektes errichtet werden, anders als andere Neubaumaßnahmen?
Wie beschrieben werden bei der Planung und Umsetzung besonders kostentreibende Faktoren bedacht. So wird auf eine Unterkellerung und eine Tiefgarage verzichtet. Außerdem werden sämtliche Wohnungen durch eine optimierte Grundrissplanung von nur einem Installationsschacht versorgt. Ein weiterer Faktor sind die eingesetzten Fertigbäder. Was das Haus aber ausmacht, ist die Kompaktheit. Aufgrund der kompakten Bauform haben wir ein günstiges Verhältnis von Wohnfläche zu umbautem Raum (ca. 3,9 m³ BRI/1 m² Wfl). Ich baue jetzt schon seit ungefähr 1990 und habe alle Projekte, an denen ich in irgendeiner Weise beteiligt war, dokumentiert. 3,94 ist der beste Wert, den ich je realisiert habe. So kompakt ist es uns noch nie gelungen, zu bauen. Wir haben zeitgleich in Wolfsburg ein anderes Projekt realisiert, übrigens auch mit Kalksandstein. Diese zwei Projekte haben wir miteinander verglichen. Bei dem Projekt Wohnen für alle am Sportplatz in Detmerode, das mit 48 Wohnungen realisiert wurde, haben wir den Ausbaufaktor von 3,94. Bei besagtem Projekt Hellwinkel Terrassen hatten wir 7,9 – also doppelt so viel. Das verdeutlicht das Potential im Städtebau.
Inzwischen haben wir insgesamt 190 solcher Wohnungen gebaut. Zwei weitere Gebäude mit nochmal 24 Wohnungen sind in Vorbereitung. Damit zählen wir zu den wenigen, die aktuell Wohnungsbau realisieren.
Die ersten Gebäude sind bereits fertiggestellt. Wer sind die Nutzer*innen und wie nehmen sie die Gebäude an?
Die ersten Gebäude wurden fast ausschließlich im geförderten Wohnungsbau realisiert, also mit Fördermitteln des Landes Niedersachsen. Nutzergruppen sind dort Menschen mit Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein, die die Gebäude sehr gut annehmen.
Das nachfolgend realisierte Gebäude am Finkenhaus war kein geförderter Wohnungsbau. Auch davon höre ich nur Gutes. Es gibt zwar etwa 1000 € Unterschied in den Baukosten pro Quadratmeter Wohnfläche im Vergleich zu den Hellwinkel Terrassen, aber die Mieter*innen haben keine verminderte Qualität in den Wohnräumen.
Man muss prüfen, wo macht ein Konzept wie „Wohnen für alle“ Sinn. In der Innenstadt von Stuttgart wird man es kaum wirtschaftlich umsetzen können, weil die Einsparungen bei den Baukosten im Vergleich zu den Bodenpreisen eine viel geringere Rolle spielen.
In Anbetracht der massiven Preissteigerungen und des Einbruchs von Neubautätigkeiten erscheint „Wohnen für Alle“ natürlich wie das Projekt der Stunde. Sollten wir auch über die akute Krise hinaus wieder zu einem einfacheren, kostenbewussteren Bauen finden?
Ja, auf jeden Fall! Und man kann daraus Vieles, wie die Planung mit nur einem Schacht pro Wohnung, auf andere Projekte übertragen. Für uns geht es jetzt um die Kunst, die Qualität dieses Konzeptes zu erhalten – die Qualität der Einfachheit. Bei der Intention Geld einzusparen, spielt der Ausbaufaktor eine zentrale Rolle. Ziel sollte sein, kompakt zu bauen, um Riesenflächen und Kubaturen zu vermeiden, die keinem Menschen was bringen. So können die Gesamtkosten im Rahmen gehalten werden.