23. Oktober 2023 | Hannah Schmidt | Interview | Kostengünstiges Bauen | Serielles Bauen

Wohnen für Alle

Interview

Interview mit Hans-Dieter Brand, Sprecher der Geschäftsführung der NEULAND Wohnungsgesellschaft mbH, über das inhouse geplante und im Partnerschaftsmodell (Bauteam-Verfahren) gemeinsam mit der B&O Gebäudetechnik Nord GmbH umgesetzte, innovative Bauprojekt „Wohnen für alle“.

„Wohnen für Alle“ – eine ziemlich große Aufgabe, die Sie bereits über den Titel formulieren. Chance oder Herausforderung?

Im Grunde beides: Der Titel stammt aus 2015 und hängt mit der damaligen Situation der Flüchtlingskrise zusammen. Damals war an uns herangetragen worden, ganz einfachen, günstigen Wohnraum für Geflüchtete zu schaffen. Ohne Aufzug, ohne Balkon – es sollte nur schnell gebaut werden und günstig sein. Da ich diesen Ansatz für nicht nachhaltig hielt, bot ich an, eine Alternative zu entwickeln, die ebenso kurzfristig und wirtschaftlich zu realisieren ist, dabei aber eine nachhaltige Bewirtschaftung ermöglicht: Wohnungen, die für alle passen, also auch für Flüchtlinge. So ist das Projekt „Wohnen für alle“ geboren worden.

Was genau verbirgt sich hinter dem Projekt?

Die Aufgabenstellung lautete, möglichst schnell, günstig und modular auf verschiedenen Grundstücken bauen zu können. Unser Ziel war, ein Gebäude zu konzipieren, das so kompakt und von der Haustechnik her so einfach wie möglich ist – nämlich mit nur einem Schacht pro Wohnung. Das war eine echte Herausforderung. Eine weitere Anforderung war die Anpassbarkeit. Denn die grüne Wiese, auf der ich ein entwickeltes Haus praktisch beliebig vervielfältigen kann, ist Wunschdenken. In der Regel ist es so, dass Anpassungen im städtebaulichen Kontext zwingend erforderlich sind.

Die NEULAND war für die Planung verantwortlich, umgesetzt wurde sie gemeinsam mit der B&O Gebäudetechnik Nord. Welche Vorteile ergeben sich aus dieser Zusammenarbeit?

Wie schon bei anderen Projekten sind wir eine Partnerschaft eingegangen. Als Bauteam-Partner war die B&O Gebäudetechnik Nord vom ersten Strich an, den wir gezogen haben, mit am Tisch und gab uns Feedback. B&O brachte auch die für ihre Baulogistik besten Konstruktionen mit ein. Angefangen beim Kalksandstein-Mauerwerk mit Großformaten, die schnell herzustellen sind – zwar anders als eine komplette Modulwand, aber dafür flexibel. So lässt sich das Gebäude relativ leicht anpassen. Von B&O kam auch der Vorschlag, auf den Kalksandstein eine Spannbetondecke zu setzen, die ebenfalls schnell realisierbar ist. Eine solche Konstruktion mag oder kann aber nicht jeder Bauunternehmer, daher ist es so wertvoll, wenn der Bauteam-Partner schon während der Planungsphase mit im Boot ist.

Welche Eigenschaften machen die Gebäude, die im Rahmen des Projektes errichtet werden, anders als andere Neubaumaßnahmen?

Wie beschrieben werden bei der Planung und Umsetzung besonders kostentreibende Faktoren bedacht. So wird auf eine Unterkellerung und eine Tiefgarage verzichtet. Außerdem werden sämtliche Wohnungen durch eine optimierte Grundrissplanung von nur einem Installationsschacht versorgt. Ein weiterer Faktor sind die eingesetzten Fertigbäder. Was das Haus aber ausmacht, ist die Kompaktheit. Aufgrund der kompakten Bauform haben wir ein günstiges Verhältnis von Wohnfläche zu umbautem Raum (ca. 3,9 m³ BRI/1 m² Wfl). Ich baue jetzt schon seit ungefähr 1990 und habe alle Projekte, an denen ich in irgendeiner Weise beteiligt war, dokumentiert. 3,94 ist der beste Wert, den ich je realisiert habe. So kompakt ist es uns noch nie gelungen, zu bauen. Wir haben zeitgleich in Wolfsburg ein anderes Projekt realisiert, übrigens auch mit Kalksandstein. Diese zwei Projekte haben wir miteinander verglichen. Bei dem Projekt Wohnen für alle am Sportplatz in Detmerode, das mit 48 Wohnungen realisiert wurde, haben wir den Ausbaufaktor von 3,94. Bei besagtem Projekt Hellwinkel Terrassen hatten wir 7,9 – also doppelt so viel. Das verdeutlicht das Potential im Städtebau.

Inzwischen haben wir insgesamt 190 solcher Wohnungen gebaut. Zwei weitere Gebäude mit nochmal 24 Wohnungen sind in Vorbereitung. Damit zählen wir zu den wenigen, die aktuell Wohnungsbau realisieren.

Die ersten Gebäude sind bereits fertiggestellt. Wer sind die Nutzer*innen und wie nehmen sie die Gebäude an?

Die ersten Gebäude wurden fast ausschließlich im geförderten Wohnungsbau realisiert, also mit Fördermitteln des Landes Niedersachsen. Nutzergruppen sind dort Menschen mit Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein, die die Gebäude sehr gut annehmen.

Das nachfolgend realisierte Gebäude am Finkenhaus war kein geförderter Wohnungsbau. Auch davon höre ich nur Gutes. Es gibt zwar etwa 1000 € Unterschied in den Baukosten pro Quadratmeter Wohnfläche im Vergleich zu den Hellwinkel Terrassen, aber die Mieter*innen haben keine verminderte Qualität in den Wohnräumen.

Man muss prüfen, wo macht ein Konzept wie „Wohnen für alle“ Sinn. In der Innenstadt von Stuttgart wird man es kaum wirtschaftlich umsetzen können, weil die Einsparungen bei den Baukosten im Vergleich zu den Bodenpreisen eine viel geringere Rolle spielen.

In Anbetracht der massiven Preissteigerungen und des Einbruchs von Neubautätigkeiten erscheint „Wohnen für Alle“ natürlich wie das Projekt der Stunde. Sollten wir auch über die akute Krise hinaus wieder zu einem einfacheren, kostenbewussteren Bauen finden?

Ja, auf jeden Fall! Und man kann daraus Vieles, wie die Planung mit nur einem Schacht pro Wohnung, auf andere Projekte übertragen. Für uns geht es jetzt um die Kunst, die Qualität dieses Konzeptes zu erhalten – die Qualität der Einfachheit. Bei der Intention Geld einzusparen, spielt der Ausbaufaktor eine zentrale Rolle. Ziel sollte sein, kompakt zu bauen, um Riesenflächen und Kubaturen zu vermeiden, die keinem Menschen was bringen. So können die Gesamtkosten im Rahmen gehalten werden.

Portrait Hans-Dieter Brand

Hans-Dieter Brand studierte Architektur in Konstanz und ist seit neun Jahren Geschäftsführer der Neuland Wohnungsgesellschaft mbH, die 1938 gegründet wurde. Mit rund 12.000 Wohnungseinheiten ist sie der größte Anbieter von Mietwohnungen in Wolfsburg.

Wohnen für alle Neuland Wolfsburg rote Balkone

Dass einfaches, kostengünstiges Bauen nicht mit Verzicht gleichzusetzen ist, beweist das Konzept „Wohnen für alle“.

Wohnen für alle Neuland Wolfsburg Spielplatz

Die NEULAND Wohnungsbaugesellschaft hatte es sich in Wolfsburg zum Ziel gesetzt, kostengünstig, nachhaltig und schnell zu bauen und dabei Wohnungen zu entwickeln, die langfristig nutzbar sind.

Wohnen für alle Neuland Wolfsburg Straßenansicht mit Parkplätzen

Trotz ambitionierter Kostenziele verfügen die Wohnungen über Balkone, das Grundstück ist grün und einladend.

Wohnen für alle Neuland Wolfsburg rote Balkone und Grünfläche

Ein zentraler Baustein des Konzeptes ist die vom Bauteam-Partner eingebrachte Konstruktion mit effizientem wie wirtschaftlichem Kalksandstein-Mauerwerk im Großformat.

Ist das Projekt für Sie zur Blaupause geworden? Haben Sie Erkenntnisse gewonnen, die man auch auf weitere Projekte sowie auf die Art und Weise, wie wir generell planen und bauen, übertragen kann?

Ja, wir arbeiten weiter an dem Prinzip. Was wir in jedem Fall und bei allen Projekten machen, ist das Bauteam-Verfahren. Das hat sich unglaublich bewährt und es spart richtig viel Geld. Auch aus vergaberechtlicher Sicht haben wir einen guten Weg gefunden. Es gibt ein Präqualifikationsverfahren, in dem der Wettbewerb stattfindet. Dabei zeigen wir möglichen beteiligten Unternehmen die Vorentwürfe und diese geben uns eine Kosteneinschätzung pro Quadratmeter. Mit dem Wettbewerbsgewinner, der die gewünschten Planungskapazitäten hat, gehen wir dann in eine sogenannte Planungsphase. Wenn am Ende dieses Blockes die Kosteneinschätzung zur gemeinsam entwickelten Planung immer noch im Rahmen der ersten Kostenprognose liegt, vergeben wir den Auftrag zum Bauen ohne weitere Ausschreibungen. Das Bauteam-Verfahren wird in Niedersachsen inzwischen im geförderten Wohnungsbau akzeptiert, d.h. wir müssen nicht nach VOB Teil A ausschreiben.

Das ist tatsächlich ein Plädoyer für das partnerschaftliche Planen und Bauen mit engem Austausch zwischen den verschiedenen Verantwortlichen?

Ja, auf jeden Fall. Dank des Partnerschaftsmodells haben wir einerseits viel weniger Nachträge und zugleich auch viel weniger Konfliktpotenzial auf der Baustelle, insofern kann ich das nur empfehlen. Natürlich setzt es eine gewisse Offenheit und gegenseitiges Vertrauen voraus.

Wäre dieses Konzept auch auf Bestandsgebäude anwendbar?

Das Bauteam-Verfahren ist in jedem Fall auch auf Bestandsgebäude anwendbar, auch wenn die Einflussmöglichkeiten im Bestand natürlich nicht so groß sind. Aber ansonsten ist eine Vereinfachung im Bestand im Nachhinein kaum möglich.

Ist das Thema serielles Bauen auch etwas, das zur Vereinfachung beiträgt und damit auch dem Thema des einfachen Bauens gerecht wird?

Ja. Wir nutzen serielles Bauen zum Beispiel bei den Bädern. Das Produkt Bad in seiner hochwertigen Oberfläche kommt fix und fertig auf die Baustelle, wird zugeschlossen und fertig. Inzwischen sind auch kleinere Tranchen schon wirtschaftlich. So eingesetzt finde ich serielles Bauen sinnvoll. Wichtig zu wissen ist, was versteht man unter seriellem Bauen? Verstehe ich darunter, das ganze Module auf die Baustelle kommen, also einschließlich Außenwand, Fenster und Decke? Oder verstehe ich darunter, so wie wir es jetzt machen, ein vorgefertigtes Bad, bei dem ich Anpassungen vornehmen kann, ohne die Grundstruktur völlig zu verändern. Das ist zum Beispiel auch mit Kalksandstein ohne weiteres möglich. Wenn ich dagegen mit großformatigen Wandteilen arbeite, die als Fertigteil produziert werden, dann ist diese Flexibilität und Anpassungsmöglichkeit nicht so gegeben.

Autor
Hannah Schmidt

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