21. September 2023 | Alexandra Busch | Interview | Nachhaltiges Bauen

Von der Vergangenheit lernen, Zukunft gestalten

Interview

Als Architektin, Optimistin und Teil eines interdisziplinären Teams bei enco, einem Ingenieurbüro für Kraftwerks- und Industriebauten, hat Nele Otto einen klaren Fokus auf Klima- und Ressourcenschutz. Was sie in ihrem Wirken motiviert, wie wertvoll der Erhalt von Bausubstanz ist und warum wir dringend die Kreislaufwirtschaft brauchen, erläutert sie im Interview.

Wahrung vorhandener Bausubstanz

Frau Otto, dieses Gespräch wurde durch einen inspirierenden Post von Ihnen auf LinkedIn angestoßen. In Ihrem Beitrag betonen Sie am Beispiel der gut erhaltenen Fachwerkbauten von Quedlinburg, wie wichtig es ist, vorhandene Bausubstanz zu bewahren. Dabei plädieren Sie nachdrücklich für einen verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen. Basierend auf Ihren positiven Eindrücken in Quedlinburg, welche Erkenntnisse können wir daraus gewinnen? Wie können wir sicherstellen, dass Gebäude, die heute errichtet werden, ebenfalls für viele Jahrhunderte erhalten bleiben?

Von den Fachwerkbauten in Quedlinburg können wir einiges lernen: Früher kümmerten sich die Menschen ganz anders um ihre Häuser. Sie hatten ein tiefes Verständnis dafür, was ein Haus bedeutet. Es war ein Zuhause, das sie für viele Jahre und Generationen erhalten wollten. Der Erhalt dieser Bausubstanz erforderte viel Kraft und Energie, und dies stand im Mittelpunkt ihrer Bemühungen. In unserer heutigen Wohlstandskultur ist dieses Verständnis oft anders. Wir verspüren häufig das Bedürfnis, uns nach vergleichsweise kurzer Zeit, etwa 10, 20 oder 30 Jahren, zu verändern. Dabei bleibt oft nicht genug Zeit, um sich ausreichend um die Dinge zu kümmern. Heute geht es oft eher um Schnelligkeit als um dauerhafte Qualität, und das hat zur Folge, dass sich die Lebensdauer von Gebäuden und Bauwerken verringert.

Portrait Nele Otto

Architektin Nele Otto beschäftigt sich seit Jahren bei enco Energie- und Verfahrens-Consult GmbH mit dem Thema Nachhaltiges Bauen.

„Back to Baustoffhof!“

Früher wurden Baustoffe nach dem Abriss eines Gebäudes oft wieder für einen Neubau eingesetzt. Welche Bedeutung messen Sie der Wiederverwendung von Materialien bei und wie sehen Sie die Rolle der Kreislaufwirtschaft in der Bauindustrie?

Die Kreislaufwirtschaft ist für mich ein absolutes Muss. Es ist so wichtig, dass wir uns intensiv damit auseinandersetzen. Insbesondere das Konzept des Urban Mining, also die gebaute Stadt als wertvolles Rohstofflager zu betrachten und beim Rückbau darauf zu achten, dass Materialien so schonend wie möglich wiederverwendet werden können, liegt mir sehr am Herzen. Mein Leitspruch lautet dabei: „Back to Baustoffhof!“ Alles, was ich weiterverwenden kann, sollte unbedingt im Kreislauf gehalten werden. Ich stehe dem klassischen Recycling, also dem sogenannten Downcycling, bei dem hochwertige Baumaterialien zu minderwertigen Produkten zerkleinert und beispielsweise unter Straßen als Frostschutz verwendet werden, eher skeptisch gegenüber. Mein Ziel ist vielmehr, Materialien im Kreislauf zu halten und ihre Lebensdauer so lange wie möglich zu verlängern.

Überschwemmte Straßen

Überschwemmte Straßen in Ballungsräumen häufen sich. Dies verdeutlicht die dringende Notwendigkeit, unsere Städte ressourcenschonender und klimaresilienter zu gestalten.

Schwammstädte sind die Zukunft

Müssen wir nicht nur ressourcenschonender bauen, sondern auch klimaresilienter, um uns vor Überhitzung und Starkregenereignissen zu schützen?  

Ja, das glaube ich definitiv. Meiner Meinung nach haben wir diesen Klimawandel bereits in den letzten Jahren spürbar erlebt. Die Sommer werden zunehmend heißer, und in städtischen Gebieten ist die Umgebungstemperatur oft höher als auf dem Land.

Es ist dringend notwendig, in den Städten mehr Maßnahmen zu ergreifen, vor allem durch mehr Grünflächen als Ausgleich. Unsere Städte müssen sich auf das Konzept einer Schwammstadt vorbereiten, die in der Lage ist, extreme Regenereignisse besser zu bewältigen und abzufedern. Schattenspendende Elemente sind dabei wichtig, aber auch die Förderung von Regenwassernutzung und Grauwassernutzung sollte in Deutschland verstärkt vorangetrieben werden. Das Thema Wasser wird zunehmend an Bedeutung gewinnen, da wir in der Stadt das Regenwasser nicht ausreichend zurückhalten können. Eine nachhaltige Bewirtschaftung unserer Wasserressourcen ist daher von großer Bedeutung, damit wir nicht alles mit kostbarem Trinkwasser bewältigen müssen.

Wie lange sollte ein Gebäude stehen?

Bei der Lebenszyklusanalyse eines Gebäudes wird in Deutschland eine Betrachtungszeit von 50 Jahren verwendet. Finden Sie diese Zeitspanne vertretbar? Ich persönlich empfinde 50 Jahre als zu kurz. Es ist jedoch wichtig zu berücksichtigen, um welche Art von Bauwerk es sich handelt. Wenn es beispielsweise um ein Wohnhaus geht, bin ich nach wie vor der Meinung, dass solche Gebäude so geplant werden sollten, dass sie nicht nur für die aktuelle Generation, sondern auch für nachfolgende Generationen nutzbar sind. In diesem Kontext erscheinen mir 50 Jahre als zu knapp bemessen.

pbr hauptverwaltung osnabrück Dachbegrünung

Umnutzungen sollten nach Nele Otto über einen längeren Zeitraum von 30, 50 oder sogar 60 Jahren in Betracht gezogen werden.

Wenn jedoch ein spezielles Projekt mit einem Business Case für eine kürzere Nutzungsdauer von etwa 30 Jahren geplant ist, muss ich natürlich die wirtschaftlichen Aspekte bei der Bestimmung des Lebenszyklus berücksichtigen. Dennoch sollte ich als Bauherr darauf achten, dass eine mögliche Umnutzung über einen längeren Zeitraum von 30, 50 oder sogar 60 Jahren in Betracht gezogen wird. Bei der Durchführung einer Lebenszyklusanalyse spielen sowohl der Ökobilanz-Faktor als auch manchmal wirtschaftliche Aspekte eine Rolle. Es ist wichtig, klare Systemgrenzen festzulegen, wenn ich die Wirtschaftlichkeit berechne, denn ich kann nicht einfach willkürlich eine Nutzungsdauer von 200 Jahren festlegen, da dies praktisch nicht realisierbar wäre. Eine sorgfältige Abwägung der verschiedenen Faktoren ist daher unerlässlich.

Wie optimistisch blicken Sie in die Zukunft des Bauens?

Wenn ich in meinem Netzwerk schaue, sehe ich viele engagierte Kolleginnen und Kollegen, die aktiv etwas bewirken. Sie gehen voran, setzen gute Beispiele und teilen ihr Wissen und ihre Erfahrungen. Dies macht mich wirklich optimistisch. Wir alle verspüren den Drang, Veränderungen herbeizuführen und die Transformation in Richtung Nachhaltigkeit zu unterstützen. Natürlich gibt es immer Menschen, die sich gegen Veränderungen sträuben, aber auch sie können wir noch überzeugen. Ich bleibe zuversichtlich, dass wir gemeinsam einen positiven Wandel erreichen werden.

Urban Mining für den Kreislauf

Wohin wird sich das Bauen entwickeln? Welche Veränderungen zeichnen sich bereits ab?

Das Thema Kreislaufwirtschaft wird eine bedeutende Rolle spielen. Sowohl Planer als auch Hersteller werden sich meiner Meinung nach in diesem Bereich weiterentwickeln. Es wird eine branchenübergreifende Zusammenarbeit geben, und wir werden voneinander lernen. Daran glaube ich und darauf hoffe ich. Besonders das Konzept des Urban Mining ist hierbei relevant. 

Abbruch Mauerwerk für Rückführung in den Kreislauf

Auch nach einem Rückbau sollten die Baustoffe nach sortenreiner Trennung der Baustoffe wiederverwendet werden.

Wenn ich Projekte habe, bei denen ein Rückbau notwendig ist, versuche ich die Baustoffe sortenrein zu trennen und sie möglicherweise in einem anderen Projekt wiederzuverwenden. Dies ist ein wichtiger Schritt, um den hohen Rohstoffverbrauch in der Baubranche zu reduzieren. Außerdem bin ich überzeugt, dass das Thema „Schwammstadt“ und wie man hitzeresilient bauen kann, immer mehr in unseren Planungsprozess einbezogen wird. Die Herausforderungen des Klimawandels erfordern eine verstärkte Berücksichtigung von klimafreundlichen und nachhaltigen Baumaßnahmen, und ich bin zuversichtlich, dass wir diesen Weg weiter vorantreiben werden.

Autor
Alexandra Busch

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