Round Table RTWH Aachen Diskussionsrunde Gruppenbild
10. Januar 2023 | Julia Marcinek | Beitrag

Für mehr Wertebewusstsein in der Baukultur

Beitrag

Die Klimakrise ist aktuell das größte Thema, das die Baubranche umtreibt, jedoch lange nicht das einzige. Es zeigt sich: Die Herausforderungen sind vielfältig, sich allein auf nachhaltiges Bauen zu beschränken, reicht aus der Sicht von Saint-Gobain Weber und KS-Original nicht mehr aus. Im Rahmen der Initiative „Wertvolle Wand“ wollen sie Architekt*innen und Planer*innen deshalb eine Plattform für den Diskurs bieten. Welche baulichen Werte muss ein Gebäude – egal ob Bestand oder Neubau – mit sich bringen, um den heutigen, vor allem aber auch den zukünftigen Herausforderungen gewachsen zu sein? Und was bedeutet „wertvoll“ eigentlich? Dieser emotionale Begriff beschreibt die Optimierung einzelner Aspekte eines großen Ganzen. Hierfür hat die Initiative acht Werte anhand des Bauteils Wand definiert. Während des Round Table am 26. Oktober bei und mit der RWTH Aachen wurden die verschiedenen Kriterien diskutiert und hinterfragt. 

Im Dialog mit Prof. Hartwig Schneider, Dr. Christian Schätzke, Carolin Harland und Sven Aretz vom Lehrstuhl Baukonstruktion der Fakultät für Architektur sowie den Studierenden Judith Baumeister und Fabian Jäger wurde vor allem der Wert „Langlebigkeit“ näher beleuchtet. Was macht ein langlebiges Gebäude aus? Welche Lösungen bietet die Baukonstruktion für die Herausforderungen der Zukunft? Und inwiefern unterscheiden sich die heutigen Ansprüche und ihre Umsetzbarkeit in der Realität?

Einen wichtigen Punkt stellte hierbei die Rückbaubarkeit und Wiederverwendung von Bauteilen dar, deren Relevanz sowohl Saint-Gobain Weber als auch KS-Original aufgreifen. Während erstere mit „weber.therm circle“ das erste sortenrein rückbaubare WDVS auf den Markt brachten, verfolgt der Markenverbund mittelständischer Kalksandsteinhersteller unter anderem in Zusammenarbeit mit dem Start-Up Concular ein Pilotprojekt zum zirkulären Bauen in Osnabrück. Hier werden Kalksandsteine aus einem vor der Umnutzung stehenden ehemaligen Warenhaus entnommen, direkt wiederverwendet oder gebrochen und als Zuschlagstoff neuen Steinen beigefügt. Herausforderungen wie neue Zulassungen oder die Aufbereitung der „Kreislaufsteine“ selbst stehen hier der Aussicht auf neue Geschäftsfelder und nicht zuletzt einer noch ressourcenschonenderen Produktionsweise gegenüber.

Langlebigkeit oder Rückbaubarkeit?

Dass Rückbaubarkeit ein immer größer werdendes Thema ist, bedeutet jedoch nicht, dass Projekte nicht langlebig sein sollten – im Gegenteil. In der Diskussionsrunde wurde gefragt, wie lange ein Gebäude bestehen muss um als wertvoll zu gelten. Die Antwort von Prof. Hartwig Schneider: „Mindestens 100 Jahre, besser länger“. Das führt unausweichlich zu der Frage, inwiefern sich die Entwurfsplanung für Neubauten ändern muss, um ebendiese Lebensdauer zu erreichen: Zum einen „sollten Grundriss und Bauvolumen flexibel und anpassungsfähig geplant werden, um nachhaltig auf Nutzungsänderungen reagieren zu können“, erklärt Carolin Harland. Auf der anderen Seite müsse die Architektur einen ästhetischen Mehrwert über bloße Moden hinweg besitzen und den Faktor des menschlichen Verhaltens und des Gebrauchs miteinbeziehen: „Ein Haus möchte auch genutzt werden“, so Dr. Christian Schätzke. Ein emotionaler Wert sorge für die Pflege eines Gebäudes und verhindere das verfrühte Aufkommen von Umnutzungs- oder gar Rückbaugedanken. Dabei gehe es weniger um ikonische Kompromisslosigkeit als vielmehr um den gekonnten Umgang mit Gegebenheiten: Nicht das Bauen auf der grünen Wiese mit unbegrenzten Finanzmitteln sei die Meisterschaft der Architektur, sondern die Fähigkeit, mit den vorhandenen bzw. beschränkten Mitteln etwas Gutes zu schaffen und die Baukultur weiterzuführen.

 

Studierende und Staat – Katalysator und Hemmnis

Ideen und Konzepte für nachhaltiges Bauen werden bereits im Studium vermittelt, wie die Teilnehmenden von Seiten der RWTH Aachen bestätigen. Gleichzeitig wurde einstimmig festgestellt, dass junge Studierende eine stärker werdende Haltung im Sinne des klimagerechten Bauens einnehmen. Das entsprechende Bewusstsein scheint vorhanden zu sein, auch wenn – verständlicherweise – noch eine gewisse Unsicherheit bezüglich der Ausführung existiert.

Round Table RTWH Aachen Diskussionsrunde

Round Table RTWH Aachen Diskussionsrunde Weber KS-ORIGINAL

Auf die politische Situation kam die Runde zu sprechen als es darum ging, ob der Staat bisher zu wenig fördere, vor allem aber fordere. Zu viele Zulassungsverfahren und komplexe Anforderungen lassen das eigentliche Ziel des ressourcenschonenden, langlebigen und nachhaltigen Bauens eher in die Ferne rücken, als dass sie hierbei hilfreich wären. „Man muss einfacher bauen können, darf es aber nicht“, konstatiert Sven Aretz. Einfacher Bauen heißt, dass Gesetzgeber und Bauherrn zukünftig auch bereit sein müssen auf Seite der Anforderungen sinnvoll zu reduzieren.

Vertreter von KS-Original und Saint-Gobain-Weber im Austausch mit Vertreter*innen des Lehrstuhls Baukonstruktion an der RWTH-Aachen

Vertreter*innen des Lehrstuhls Baukonstruktion im Austausch mit KS-Original und Saint-Gobain Weber: Vorne: C. Poprawa, Prof. H. Schneider, C. Harland, P. Theissing, G. Kolbe. Hinten: F. Jäger, S. Aretz, Dr. C. Schätzke, J. Baumeister (v.l.n.r.)

Angemessenheit als Strategie der Zukunft

Welche Strategie bevorzugt genutzt werden solle – ob die Langlebigkeit „long use“, die Recyclingfähigkeit „recycle“, die Wiederverwertbarkeit „reuse“ oder die Reduzierung des Materials „reduce“ – müsse dabei von Fall zu betrachtet werden. Das Wichtigste sei das Bewusstsein für Anpassbarkeit und Ausgewogenheit aller Faktoren. Letztendlich gibt es dafür, so Prof. Hartwig Schneider, nicht die eine richtige Vorgehensweise. Lösungen müssen vielfältig und insbesondere angemessen sein für die Bauaufgabe und den Ort. „An dieser Stelle ist auch Materialoffenheit von entscheidender Bedeutung. Dogmatismus ohne Berücksichtigung der jeweiligen Anforderungen hilft nicht weiter“, ergänzt der Lehrstuhlinhaber.  Zielführende Ansätze sollten Flexibilität für die Zukunft und individuelle Lösungen   für divergierende Anforderungen wie z.B. Gebrauch, Energie- und Materialeffizienz, Kreislauffähigkeit, Ästhetik und Wirtschaftlichkeit ermöglichen. Ein Austausch zwischen den verschiedenen am Bau Beteiligten – wie im Rahmen dieses Round Table – schaffe dabei ein gegenseitiges Verständnis für komplexe Inhalte und andere Blickwinkel, so Sven Aretz. Auf diese Weise kann ein gemeinsamer Weg gefunden werden, um das Bauen zukunftsfähig und wertvoll zu machen.

Autor
Julia Marcinek

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