Peter Theissing im Interview auf der Baustelle Kronsrode
23. November 2022 | Kathrin Albrecht; BAUKUNST.PLUS | Hinter der Fassade

Weißer Stein am Kronsberg

Hinter der Fassade

Im Südosten Hannovers entstehen derzeit rund 4.000 Wohneinheiten  – im Durchschnitt zu 70 % mit dem Wandbaustoff Kalksandstein realisiert, an der Kante zu Stadtbahn und Industriegebiet sogar zu 100 %. Insgesamt 100.000 Tonnen des Mauersteins liefert hierfür das keine 50 Kilometer entfernte KS* Werk in Wendeburg. Über die Aspekte der Rohstoffgewinnung sprechen wir mit Susanne Funk, Geschäftsführerin des MIRO Bundesverband Mineralische Rohstoffe e. V., während uns Jan Dietrich Radmacher, geschäftsführender Gesellschafter des Kalksandsteinwerks Wendeburg Radmacher, und Peter Theissing, Geschäftsführer von KS-Original GmbH, hinter die Fassade der Produktion des weißen Steins schauen lassen.

Wir wollen es aber noch genauer wissen – denn immerhin hat sich die Rohstoffentnahme weltweit seit 1970 verdreifacht, im Jahr 2017 waren es erstmals mehr als 90 Milliarden Tonnen nicht nachwachsender Rohstoffe. Und dies trotz Bekenntnis zu einem schonenden Umgang mit natürlichen Ressourcen. In Deutschland liegt der tägliche Pro-Kopf-Verbrauch mit 44 Kilogramm relativ hoch, gerade im internationalen Vergleich. Hauptkonsument: die Bauindustrie. Blickt man konkret auf die mineralischen Rohstoffe – beispielsweise Sand, Kies, gebrochene Natursteine, Kalkstein und Gips – so wurden laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2018 allein in Deutschland 618 Millionen Tonnen für die Herstellung von Baumaterialien und anderen Industriegütern eingesetzt.

Auch hinsichtlich Treibhausgasemissionen ist der Einfluss der Bauwirtschaft auf unsere Umwelt groß: 40 Prozent verursacht in Deutschland laut Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung die Herstellung, Errichtung und Modernisierung sowie die Nutzung und der Betrieb von Wohn- und Nichtwohngebäuden.

Welchen Einfluss hat also der Abbau mineralischer Rohstoffe konkret auf unsere Umwelt? Und wie stellt sich die Industrie ihrer Verantwortung und reduziert den eigenen Anteil am deutschen CO2-Ausstoß, zumal sich die Bundesregierung im Rahmen des European Green Deal auf ein Klimaziel von 65 % CO2-Reduktion (gegenüber 1990) bis 2030 verpflichtet hat?

Gesteinsrohstoffe: Alternativlos?

Mineralische Rohstoffe finden sich beinahe überall. Den größten Anteil an Gesteinsrohstoffen nutzt in Deutschland die Bauwirtschaft, um beispielsweise Beton, Mörtel, Estrich, Baustoffe wie Kalksandstein und Ziegel oder Dämmstoffe wie Gesteins- und Glaswolle herzustellen. Zudem ist der Rohstoffhunger der Infrastruktur groß: Als Gesteinsmaterial im Straßenbau und Gleisschotter an den Schienen, für Rad- und Fußwege, für Wasserstraßen ebenso wie für Tunnel und Kanalisationen

MIRO-Geschäftsführerin Susanne Funk

MIRO-Geschäftsführerin Susanne Funk im Interview.

Selbst die Energiewende wäre ohne diese Rohstoffe nicht möglich: Betonfundamente und -türme der Windkraftanlagen mit ihren Flügeln aus glasfaserverstärkten Kunststoffen. Apropos Glasfaser: Blickt man auf die Quarzsand-verarbeitende Industrie, nutzt diese den Rohstoff Quarzsand beispielsweise für die Fertigung von Keramik und Glas, für Computerchips und Solaranlagen.

Der Einsatz mineralischer Rohstoffe ist in weiten Teilen alternativlos. Jedoch muss die Nutzung unserer nicht nachwachsenden Gesteine ressourcenschonender und effektiver werden, denn der aktuelle Verbrauch sei erheblich, „zwei volle Einkaufstaschen pro Tag und Bürger“, so Frau Funk. Die Industrie denkt daher zunehmend in Kreisläufen, primäre Rohstoffe werden durch sekundäre, bei Gebäudeabbrüchen oder Straßenausbau gewonnene und recycelte Rohstoffe, ersetzt – aktuell beträgt deren Anteil bereits 13 Prozent am gesamt genutzten Volumen.

Peter Theissing im Interview auf der Baustelle Kronsrode

Peter Theissing, Geschäftsführer von KS-Original, im Interview auf der Baustelle Kronsrode.

Rohstoffgewinnung

Auf 0,004 Prozent der Fläche Deutschlands werden laut Deutscher Rohstoffagentur Gesteinsrohstoffe gewonnen – zeitlich begrenzt. Im Fall von Sand und Kies sind dies 15 bis 20 Jahre in zuvor land- oder waldwirtschaftlicher Kulturlandschaft, die im Anschluss an die Gewinnung in Zusammenarbeit mit Umweltverbänden renaturiert oder rekultiviert wird. Die angestrebte Nachnutzung muss bereits im ersten Planungsprozess, also vor Erteilung einer Genehmigung zum Abbau der Bodenschätze, unter Berücksichtigung örtlicher Wünsche verbindlich festgelegt werden.

Beobachtungen des Naturschutzbundes Deutschland und der Gesteinsindustrie zeigen, dass durch die Rohstoffgewinnung und trotz der damit verbundenen Eingriffe in die Natur neue Biotope entstehen, die andernfalls in unserer kulturwirtschaftlich genutzten Landschaft kaum noch existieren würden. Rohstoffgewinnung als Sicherung der Artenvielfalt.

Darüber hinaus wird Sand als Rohstoff auch in nächster Nähe zu vielen Werken abgebaut. So auch beim Kalksandstein. „Regionalität gehört definitiv zur DNA unseres Markenverbundes mit 41 Kalksandsteinwerken“ erklärt Peter Theissing, Geschäftsführer des KS-Original Markenverbunds. Neben der Rohstoffgewinnung vor Ort gehören dazu auch die kurzen Transportwege zu Baustellen mit einem durchschnittlichen Radius von 40 bis 60 Kilometer. 

Renaturierung nach Rohstoffgewinnung, Pflanze wächst auf Sandboden

Durch die Rohstoffgewinnung entstehen im Rahmen der Renaturierung auch neue Biotope.

KS-ORIGINAL Markenverbund Deutschlandkarte

Der Markenverbund KS-Original mit 41 Werken in Deutschland steht für Regionalität. Rohstoffe werden direkt vor Ort abgebaut und die kurzen Wege zur Baustelle betragen im Schnitt nur 50 km. Auch die Entfernung zur Baustelle in Kronsrode betrug nur 50 km.

Vom Rohstoff zum Baumaterial KS*

Neun Teile Sand, ein Teil Kalk und etwas Anmachwasser: Die Rezeptur für den Kalksandstein, aus dem Kronsrodes neue Wohngebäude größtenteils erwachsen, geht zurück auf das Jahr 1880, als der Baustoffchemiker Dr. Wilhelm Michaelis erstmals Sand-Kalk-Mörtel mit Wasserdampf härtete. 14 Jahre später begann die industrielle Produktion der weißen Steine in Schleswig-Holstein – und heute gehört Kalksandstein zu den Marktführern im mehrgeschossigen Wohnungsbau. „Bauen mit Kalksandstein zählt zu den kostengünstigsten Baukonstruktionen, steht aber auch für einfaches Bauen und ist als natürliches Material zeitgemäß. Vor allem die bauphysikalischen Eigenschaften – Tragfähigkeit, Brandschutz und insbesondere auch Schallschutz – sind für den Wohnungsbau in Kronsrode von großer Bedeutung“, so Theissing.

Als kalkgebundener Baustoff trägt Kalksandstein auch aktiv zum klimaoptimierten Bauen bei, denn durch natürliche chemische Reaktionen speichert er dauerhaft CO2. In einer Studie an der Universität Kassel kam Prof. Dr. Bernhard Middendorf, Leiter des Fachgebiets Werkstoffe des Bauwesens und Bauchemie, zu dem Ergebnis, dass Kalksandsteine prinzipiell rund 50 Kilogramm CO2 pro Tonne aufnehmen können – dies entspricht aktuell rund 40 Prozent des bei ihrer Herstellung entstehenden CO2. Anstriche und Putze verlangsamen zwar die natürliche Recarbonatisierung, verhindert wird sie aber nicht. Und auch im Falle einer Zerkleinerung nach einem Gebäuderückbau wird das CO2 im Recyclingprozess nicht wieder abgegeben.

Eine Frage der Verantwortung

Nicht nur nachhaltiger sondern auch kostengünstiger Wohnraum – sowohl gefördert als auch für den freien Markt – entsteht in Kronsrode: Die hier verwendete KS-Bauweise zählt zu den zukunftsfähigsten Baukonstruktionen im Markt. Schon lange bemühen sich die Hersteller um einen möglichst effizienten Rohstoffeinsatz. Um den Einfluss der eigenen Industrie auf Umwelt und Klima zu reduzieren, hat der Bundesverband der Kalksandsteinindustrie im September 2021 eine Nachhaltigkeitsstrategie mit zugehöriger Roadmap auf den Weg gebracht: klimaneutrale Produktion bis spätestens 2045 und Erhöhung des Recyclinganteils im Produkt. Einen großen Hebel zur CO2-Reduzierung sieht Jan Dietrich Radmacher, Geschäftsführer des Kalksandsteinwerk Wendeburg und Gesellschafter des KS-Original Markenverbunds, im Bereich des Rohstoffs Kalk. Darüber hinaus in der eigenen Produktion vor allem in der Nutzung erneuerbarer Energien aus Windkraft – und nicht zuletzt aus Photovoltaik auf den eigenen Industriedächern.

Jan Dietrich Radmacher, Geschäftsführer des Kalksandsteinwerk Wendeburg

Jan Dietrich Radmacher, Geschäftsführer des Kalksandsteinwerk Wendeburg, im Interview auf dem Werksgelände.

Autor
Kathrin Albrecht; BAUKUNST.PLUS

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