Baustelle Kronsrode mit Kränen
23. Mai 2023 | Kathrin Albrecht; BAUKUNST.PLUS | Hinter der Fassade | Flächeneffizientes Bauen | Kostengünstiges Bauen

Ein Quartier entsteht – draußen in der Stadt.

Hinter der Fassade

In der Bauwelt begegnen wir aktuell konstant neuen und altbekannten Herausforderungen: Bauen und Mieten verteuern sich stetig, der vorhandene Wohnraum ist zu knapp, der Einfluss der gebauten Welt auf Umwelt und Klima zu hoch, die versiegelten Flächen sind zu groß und die Aufteilung des vorhandenen Raums gerät zunehmend in eine unfaire Schieflage. Ein weltweites Phänomen. Hannover antwortet auf die genannten Herausforderungen mit dem neuen Quartier Kronsrode, in dem derzeit rund 4.000 Wohneinheiten entstehen. Wie Kronsberg Süd, so dessen offizieller Name, konkret den diversen Herausforderungen begegnet, erzählen uns Dirk Streicher, Vorstandsvorsitzender der Delta Bau AG und Sprecher der Interessensgemeinschaft Kronsrode Mitte (IG Mitte) sowie Dieter Schwarze, Geschäftsführer der Kümper + Schwarze Baubetriebe GmbH.

Wohnen – ein kostbares und knappes Gut

Im Jahr 2022 wendeten die knapp 20 Millionen Hauptmieterhaushalte in Deutschland durchschnittlich 27,8 % ihres Einkommens für Miete auf; bei sogar über 50 % Mietbelastung lagen rund 1,5 Millionen Mieterhaushalte. Zeitgleich fehlen aktuell im gesamten Bundesgebiet 700.000 Wohnungen, so eine Anfang 2023 veröffentlichte Studie von Pestel-Institut und Bauforschungsinstitut ARGE. Dieser Rekord-Wohnungsmangel, der leider auch nicht vor den Toren der niedersächsischen Landeshauptstadt Halt macht, sei das größte Wohnungsdefizit seit mehr als 20 Jahren, so die Autor*innen der Studie.

Der hier beschriebene Mangel wird von zwei weiteren Veränderungen in unserer Art des Wohnens begleitet: Der durchschnittliche Pro-Kopf-Verbrauch von Wohnraum steigt konstant. Ende 2021 gab es laut Umweltbundesamt in Deutschland 43,1 Millionen Wohnungen mit einer durchschnittlichen Wohnfläche von 92 qm. Im Schnitt beanspruchte jede*r Einwohner*in 48 qm Wohnraum. Ein Pro-Kopf-Verbrauch, der durch die zunehmende Zahl der Singlehaushalte mit aktuell durchschnittlich 68 qm und das Wohnverhalten älterer Menschen konstant steigt. So liegt der Flächenanspruch der über 75-Jährigen im Mittel sogar bei 78 qm. Würde man den vorhandenen Raum fair(er) verteilen und der Empfehlung einer Pro-Kopf-Flächennutzung von 40 qm folgen, wäre wahrscheinlich genug Raum für alle da.

Denn bedingt durch die unfaire Verteilung von Raum hat in Deutschland im Jahr 2021 jede*r zehnte Einwohner*in auf überbelegtem Wohnraum gewohnt, so das Statistische Bundesamt. Betroffen waren zur Zeit der Erhebung rund 8,6 Millionen Menschen; heute wird der Anteil bedingt durch die hohe Zahl geflüchteter Personen höher sein. Von Überbelegung ist die Rede, wenn eine Wohnung im Verhältnis zur Personenzahl über zu wenig Zimmer verfügt, wenn etwa kein Gemeinschaftsraum oder kein einzelnes Zimmer je Erwachsenem vorhanden ist.

Der Mensch im Mittelpunkt

Mit Blick auf die soziale Nachhaltigkeit hat die Stadt Hannover die Bau- bzw. Interessensgemeinschaften von Kronsrode dazu verpflichtet, dem geförderten Wohnungsbau einen mindestens 25-prozentigen Anteil an den knapp 4.000 Wohneinheiten zu geben. Als weiteres positives Merkmal sind diese Wohnungen weder am Rand, noch auf weniger attraktiven Flächen zu platzieren, sondern haben sich gleichmäßig eingestreut in das Gesamtareal einzufügen. „Die Vorgabe war, dass tatsächlich in jedem Baublock ein Viertel an geförderten Wohnungen ist – das man nicht sieht, weil es dem gleichen Gestaltungsanspruch und dem gleichen baulichen Zusammenhang entspricht“, so die verantwortliche Stadtplanerin Ulrike Hoff. Auch wurde bei der Entwicklung des Areals sehr viel Sorgfalt darauf verwandt, den Bedürfnissen der unterschiedlichen Alters- und Anspruchsgruppen Rechnung zu tragen. Denn der Mensch stehe hier klar im Mittelpunkt, so Herr Streicher. Es gäbe demnächst nicht nur eine Kita mit angegliedertem Familienzentrum und eine zentral gelegene Schule, sondern auch eine große Zahl altersgerechter Wohnungen.

Dirk Streicher Portrait

Dirk Streicher ist Vorstandsvorsitzender der Delta Bau AG und Sprecher der Interessensgemeinschaft Kronsrode Mitte (IG Mitte).

Kronsrode – eine 15-Minuten-Stadt?

Ohne das Auto nutzen zu müssen, binnen 15 Minuten alle wichtigen Orte des täglichen Lebens zu erreichen, ist der aus der Stadtplanung stammende Anspruch an eine 15-Minuten-Stadt. Paris, Oslo, Madrid und auch Städte wie Hamburg und Berlin bauen bereits seit einigen Jahren ihre Stadträume entsprechend um. Nach dem Konzept der 15-Minuten-Stadt sollen Lebensmittelgeschäfte und Ärzte (in Kronsrode rund um den Iris-Runge-Platz und angrenzend an die Stadtbahn-Haltestelle Expo-Ost organisiert), Erholungsräume und Arbeitsplatz, Kindergärten und Schulen in einem Radius von 3 bis 4 km mit dem Rad oder 1 bis 1,5 km zu Fuß um den eigenen Wohnort liegen. Kronsrode entspricht diesen Vorgaben vollumfänglich; selbst das Krankenhaus in Laatzen ist binnen 13 Minuten vom zentralen Stadtplatz aus mit dem Rad zu erreichen.

Drohnenaufnahme Hannover Kronsrode

In Kronsrode erhält der soziale Wohnungsbau einen mindestens 25-prozentigen Anteil an den knapp 4.000 Wohneinheiten.

Dirk Streicher im Interview auf der Baustelle Kronsrode

In der IG Mitte organisieren sich sechs hannoversche Immobilienunternehmen, welche KRONSRODE MITTE im Verbund und entsprechend kostengünstiger erschlossen und ausgeführt haben.

Gerechtigkeit und Qualität

Die Frage der Gerechtigkeit geht immer auch einher mit der Kostenfrage. Im Fall von Kronsrode hat die Stadt Hannover schon bis 1995 große Teile der für das Projekt Kronsberg Süd relevanten Flächen in ihre Hand gebracht und konnte Bodenspekulationen weitgehend ausschließen. Außerdem hat sie das 53 Hektar große Gebiet früh als Wohnbaufläche dargestellt – so konnte das neue Quartier noch vor dem ersten Spatenstich mit zwei Stadtbahn-Haltestellen an den öffentlichen Nahverkehr angeschlossen werden und von bestehender Infrastruktur profitieren. Mit einem weiteren Clou konnte der aktuellen Preissteigerung begegnet werden: In der IG Mitte organisieren sich die sechs hannoverschen Immobilienunternehmen DELTA BAU, Grundlach, hanova, KSG HANNOVER, meravis und spar+bau. Gemeinsam haben sie den Bereich KRONSRODE MITTE und die Erschließung des Areals im Verbund – und damit kostengünstiger – organisiert und ausgeführt. Außerdem wurden gemeinschaftlich für jedes Baufeld Architektenwettbewerbe ausgelobt, was die gestalterische Qualität des Quartiers zusätzlich gesteigert hat.

Dieter Schwarze von Kümper + Schwarze im Portrait

Dieter Schwarze ist Geschäftsführer der Kümper + Schwarze Baubetriebe GmbH, welche auf mehreren Baufeldern in Kronsrode Wohnraum realisiert.

Die Materialfrage

Nicht nur nachhaltiger sondern auch kostengünstiger Wohnraum – sowohl gefördert als auch für den freien Markt – entsteht in Kronsrode: Die hier verwendete KS-Bauweise zählt zu den zukunftsfähigsten Baukonstruktionen im Markt. Wegen der guten Schallabsorption wird Kronsrode im Durchschnitt zu 70 % mit dem Wandbaustoff Kalksandstein realisiert, an der Kante zu Stadtbahn und Industriegebiet sogar zu 100 %. Der Bauunternehmer Schwarze schätzt an dem weißen Stein neben dessen Einfachheit vor allem seine Regionalität. „Wir haben kurze Lieferwege und damit kurze Lieferzeiten, wir kennen die Produzenten und – gerade heute besonders wichtig – schätzen die Tatsache, dass durch die kurzen Transportwege weniger CO2 emittiert wird.“

Drohnenaufnahmen: © Olaf Mahlstedt

Autor
Kathrin Albrecht; BAUKUNST.PLUS

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